Frauenstreik

Rede von Christine Badertscher am gesamtschweizerischen Frauenstreiktag 2019 in Langenthal

Liebe Frauen

Es freut mich sehr, dass ich hier in Langenthal eine Rede halten darf – vielen Dank für die Einladung!

Ich wurde angefragt, ob ich etwas zur Situation der Bäuerinnen erzählen könnte. Das mache ich sehr gerne, obwohl ich selber – leider – keine Bäuerin bin. Im Kanton Bern ist es noch immer so, dass der jüngste Sohn – mit Betonung auf Sohn – den Betrieb übernehmen kann. Da ich nur eine Tochter bin und erst noch die älteste hatte ich keine Chance. Gut, ich hätte immer noch einen Bauern heiraten können – aber das hat bis jetzt auch irgendwie nicht geklappt, den Gründen wollen wir nun nicht nachgehen. Jedenfalls bin ich keine Bäuerin geworden.

Nein, das war nun alles nicht ganz ernst gemeint. Erstens finde ich es super, dass mein kleiner Bruder den Betrieb meiner Eltern übernimmt und zweitens bin ich nun ganz glücklich mit dem Job den ich habe – denn da habe ich auch viel mit der Landwirtschaft und insbesondere mit Bäuerinnen zu tun, mehr auf politischer als auf praktischer Ebene – aber das ist auch wichtig.

Ich werde etwas über die Situation der Bäuerinnen in der Schweiz erzählen, aber auch einen Blick über den Schweizer Tellerrand hinaus werfen - in den globalen Süden. Ich finde es sehr wichtig, am heutigen Frauenstreiktag auch die internationale Solidarität zu thematisieren.

Doch zuerst zur Schweiz. Die Situation der Bäuerinnen ist zurzeit in aller Munde und das ist richtig so. Denn obwohl die Bäuerinnen sehr viel arbeiten, laut einer Statistik des Bundes 63 Stunden pro Woche, bleibe ihr Wirken oft unsichtbar im Hintergrund. Und nur 30 Prozent der Bäuerinnen in der Schweiz sind sozial abgesichert und werden für ihre Arbeit entschädigt. Für 70 Prozent oder über 31'000 Bäuerinnen gilt dies jedoch nicht. Weil diese Frauen ohne angemessene Bezahlung und ohne Sozialversicherung arbeiten, gelten sie von Gesetzes wegen fälschlicherweise als «nichterwerbstätig». Dieser Status führt namentlich bei Scheidungen zu existenziellen Problemen und zu unwürdigen Situationen. Aber auch die Altersvorsorge ist oftmals ungenügend. Und Bäuerinnen können ohne eigenes Einkommen auch nicht von der Mutterschaftsversicherung profitieren. Kurz: Bäuerinnen können so komplett abhängig von ihren Ehemännern sein.

Das Problem der fehlenden sozialen Absicherung ist aber nicht nur der böse Wille, sondern liegt auch daran, dass die Einkommen in der Landwirtschaft sehr tief sind. Sie liegen immer noch 1/3 unter den Vergleichseinkommen – je nach Region ist der Unterschied sogar noch grösser. Wenn das Gesamteinkommen eines Landwirtschaftsbetriebes zu klein ist, wird auch die Vorsorge schwierig.

Aber gerade dort, wäre diese wichtig. Deshalb muss nun etwas geändert werden. Der Bund schlägt in der neuen Agrarpolitik ab 2022 vor, die soziale Absicherung als Bedingung an die Direktzahlungen zu knüpfen. Dass es also Kürzungen gibt, wenn die Bäuerinnen zu wenig gut abgesichert sind. Dies ist sinnvoll – so entsteht der nötige Druck, denn wir wissen alle – mit den freiwilligen Massnahmen ist es so eine Sache… Es ist nun wichtig, die Bäuerinnen zu unterstützen, damit diese Forderung im Parlament auch eine Mehrheit findet.

Die soziale Absicherung hätte auch gesellschaftliche Vorteile – dann würde nämlich über die Arbeit der Bäuerinnen gesprochen – ihre Arbeit bekäme die Wertschätzung, die sie verdient.

Die zweite wichtige Forderung der Bäuerinnen ist die politische Mitbestimmung. Einerseits die Beteiligung der Frauen in bäuerlichen Organisationen, aber natürlich auch in der Politik selber. Deshalb haben der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband SBLV das Projekt «Wählt Frauen – für mehr Frauen in der Politik» lanciert. Ich finde es grossartig, wie sich nun Frauen aus fast allen Parteien zusammentun und gemeinsam für dieses Ziel zu werden – es ist enorm wichtig, dass im Herbst mehr Frauen ins Parlament gewählt werden – aber das muss ich euch hoffentlich nicht erzählen.

Nun, wie erwähnt, möchte ich auf die internationale Bühne wechseln. Bäuerinnen sind weltweit für 70 Prozent der Lebensmittelproduktion verantwortlich. Oft sind sie es, die alleine für die Versorgung der Familien zuständig sind. Trotz dieser enormen Verantwortung und grossen Arbeit haben sie kaum Rechte und oft keinen Zugang zu Krediten, Land oder Bildung. Dabei wären insbesondere die Landnutzungsrechte zentral, damit die Frauen ihre Familien mit Lebensmittel versorgen können.

Auch ist es leider heute immer noch Tatsache, dass insbesondere in ländlichen Regionen die Frauen oft nur ungenügend Zugang zu Bildung haben. Nicht zuletzt sorgen traditionelle Rollenbilder dafür, dass auf dem Land die Mädchen oft keine Schulbildung erhalten. Doch gerade für die Bäuerinnen ist es zentral, dass sie lesen, schreiben und rechnen lernen. Somit können sie selbständig eigene Unternehmen führen, werden auf dem Markt nicht getäuscht und können Buch führen über Einnahmen und Ausgaben, was ihre Lebenssituation verbessert.

Und nicht zuletzt ist die Mitbestimmung der Frauen in bäuerlichen Organisationen enorm wichtig für die Emanzipation und für ein selbstbestimmtes Leben der Bäuerinnen.

Doch dies ist noch überhaupt keine Selbstverständlichkeit. Es sind meistens weniger rechtliche als vielmehr gesellschaftliche Hindernisse – wie auch in der Schweiz.

Die Lebenssituationen sind im Tschad, in Guinea-Bissau oder in Tansania anders – ich würde behaupten dramatischer als in der Schweiz – aber die Anliegen der Bäuerinnen sind oft dieselben. Sie fordern Anerkennung für ihre Arbeit, Möglichkeiten für die Mitbestimmung und gleiche Rechte.

Deshalb haben wir von SWISSAID zusammen mit dem SBLV den Bäuerinnen-Appell lanciert. Dieser fordert einerseits, dass die soziale Absicherung der Bäuerinnen in der neuen Agrarpolitik aufgenommen werden und andererseits, dass die Bäuerinnen in der internationalen Zusammenarbeit wieder eine wichtige Rolle spielen. Irgendwie hat Herr Bundesrat Cassis die Frauen etwas vergessen in seiner neuen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit….

Was können wir sonst tun für die Bäuerinnen in der Schweiz? Regional und saisonal einkaufen, wenn möglich direkt bei den Bäuerinnen, sei es in einem Hofladen oder hier auf dem Markt. Denn oft sind es die Bäuerinnen, die sich um den Direktverkauf kümmern. Wenn dieser gut läuft, können sie sich ihr Einkommen verbessern – und vor allem wird dank eurem Einkauf ihre Arbeit wertgeschätzt und dies ist wie bereits gesagt, etwas sehr Wichtiges.

Herzlichen Dank fürs zuhören und euer wichtiges Engagement!